Die Vertikalisierung ist eine Folge der Digitalisierung, wobei eines das andere bedingt. Die große Frage aber ist, ob Handwerker davon profitieren und wie sie künftig einkaufen werden.
Vertikalisierung: Der Eingriff in die Wertschöpfungskette
Hersteller, Händler und Endkunde sind feste Bestandteile in der Wertschöpfungskette. Dank der Vertikalisierung wird aber der Händler aus dieser Kette ausgeschlossen, denn ihn braucht niemand mehr. Der Hersteller übernimmt den Vertrieb seiner Produkte und kann damit zunehmend bei Kunden punkten. Vertikalisierte Unternehmen scheinen allerdings mehrere Strategien zu nutzen und nicht jede Vertikalisierungsstrategie lässt sich von einem Unternehmen auf das andere übertragen. In dem Zuge stellt sich die Frage, was Vertikalisierung überhaupt bedeutet.
Verschiedene Stufen innerhalb der Wertschöpfungskette werden über die vertikale Ebene miteinander verbunden bzw. teilweise übersprungen. Hersteller werden zu Händlern, Letztere, die auch als Retailer bezeichnet werden, sind nicht mehr nötig. Der Kunde, in diesem Fall der Handwerker, wendet sich direkt an den Hersteller und kauft dort entweder in dessen Onlineshop die benötigten Produkte ein oder erwirbt sie im Rahmen des Direktvertriebs. Auch dieser wird immer beliebter und stellt eine Art Erlebnisshopping für den Bereich B2B dar.
Direktvertrieb als wichtige Vermarktungsstrategie
Viele Wege führen nach Rom, sagt man. Im Handel scheint es die Vertikalisierung zu sein, die zum Erfolg führt und neben dieser gibt es momentan kaum andere Pfade im Marketing, die derart gewinnbringend zu sein scheinen. Im Rahmen des Direktvertriebs wendet sich der Hersteller an den Kunden. Bekannt ist eine solche Vorgehensweise unter anderem von Vorwerk oder Tupperware, Letzteres allerdings für den B2C Bereich. Der Hersteller vereinbart einen Termin und führt seine Produkte direkt am Arbeitsplatz bzw. im Unternehmen des potenziellen Kunden vor. Dieser kann die Produkte anschauen, sie ausprobieren und ausgiebig testen. In den meisten Fällen wird er sie auch kaufen, wobei die Rückgaberaten im Direktvertrieb bei weniger als zehn Prozent liegen. Im normalen Onlinehandel sind es immerhin rund 30 Prozent.
Die Vertikalisierung in der Fashion-Branche ist ein wichtiges Beispiel für die neue Art der Kundenkommunikation über den Direktvertrieb. Immer mehr Hersteller werben mit eigenen Onlineshops oder eben Angeboten für die direkte Vorführung ihrer Modelle. Die vertikalisierte Organisation läuft perfekt ab, zumal die Vorteile des Direktvertriebs ausgenutzt werden:
- Kunden assoziieren mit dem Hersteller eine hohe Fachkompetenz
- Qualität der Produkte wird höher eingeschätzt
- Preis-Leistungs-Verhältnis wird als angemessen empfunden
- Kundenbindung an eine Marke ist leichter
- persönliche Fachberatung ist möglich
- Hilfe bei der Suche nach Alternativen
Man stelle sich den Handwerker vor, der ein bestimmtes Produkt sucht. Er ordert es beim Händler, dieser hat es nicht vorrätig. Eine Alternative kann der Händler nur insofern vorschlagen, als dass er das betreffende Produkt von einem anderen Hersteller anbieten kann. Der Kunde möchte jedoch „seinem“ Hersteller treu bleiben, weil er mit der Qualität der Produkte bislang sehr zufrieden war. Die Folge: Der Kunde wird sich an den Hersteller direkt wenden, wird doch bezüglich der Verfügbarkeit des Produkts beraten und kann auf Alternativen, Lieferfristen und Verfügbarkeiten verwiesen werden. Der Hersteller vertreibt nur seine eigenen Produkte und ist entsprechend aussagefähig. Dies kann ein Händler in der Regel nicht leisten bzw. nur mit zeitlichen Verzögerungen durch Nachfragen beim Hersteller. Nun gehen viele Kunden aber lieber den schnellen und direkten Weg und finden sich selbst als Kunden des Herstellers wieder.
Richtige Vertikalisierungsstrategie wählen
Wer die vertikale Ausrichtung schätzt und mit seiner Vertikalisierungsstrategie Erfolg haben will, muss sich als Hersteller um die Kunden bemühen. Die passende Kundenkommunikation muss gefunden und definiert werden: Wer ist die Zielgruppe, wie ist sie zu erreichen und was macht sie aus? Welche Besonderheiten müssen berücksichtigt werden und was geht im Rahmen des Marketings gar nicht? Hersteller werden zu Marketingfachleuten und beschäftigen immer häufiger Personal, das sie früher nicht benötigt hätten. Vertikalisierungsstrategen werden gesucht, Mitarbeiter, die sich mit Marketing, Kundenkommunikation und mit dem Erreichen des Endkunden ohne den Weg über den Zwischenhändler auskennen.
Des Weiteren werden Hersteller zu Beratern. Sie sind es, die Rede und Antwort stehen müssen, wenn ein Kunde Fragen hat oder wenn er ein Produkt kennenlernen möchte. Einige Unternehmen sind schon länger auf diese Weise aktiv, wobei die Firma Würth sogar der Meinung ist, dass der Direktvertrieb den „Motor des Erfolgs“ darstellt.
Wichtige Beispiele für Firmen, die sich mit ihren Produkten direkt an den Endkunden wenden sind unter anderem:
Doch für Handwerker sind nicht nur die Hersteller interessant, die sich die einstigen Vorteile der Händler zunutze machen und ihr Sortiment dem Kunden direkt vorstellen und veräußern. Da immer mehr Handwerker im Internet kaufen (laut Umfrage ist es bereits jeder Vierte), punkten auch die Shops, die sich auf eine Nische spezialisiert haben. Sie verkaufen nur Produkte einer bestimmten Kategorie und offerieren hier die Erzeugnisse vieler Hersteller. Für den Handwerker ist das Einkaufen damit einfach, denn er schaut auf die betreffende Seite und bekommt sein gesuchtes Produkt von verschiedenen Herstellern und in unterschiedlichen Preiskategorien angeboten. Beispiele für solche Shops sind:
- leuchtmittelmarkt.com (Leuchtmittel)
- farben-online-shop.de (Farben)
- leiternshop.de (Leitern)
- moertelshop.com (Mörtel)
Was verändert die Vertikalisierung für das Handwerk?
Die vertikalisierte Organisation der Hersteller bringt einem Handwerker zahlreiche Vorteile. Es sind vor allem die Vorteile, die früher den Händlern vorbehalten waren, die nun zum Vorsprung des Herstellers gereichen. Der Hersteller kann auf seinen Seiten oder im Showroom sein komplettes Sortiment präsentieren und ist damit gegenüber dem Händler, der schon allein aus Platzgründen im Lager nicht jedes Produkt von jedem Hersteller vorrätig haben kann, im Vorteil. Auch der Hersteller wartet heute mit einer echten Kundennähe auf, stellt die Wünsche der Kunden vornan und lässt seinen eigenen Shop zur Anlaufstelle Nummer eins werden.
Handwerker, die auf der Suche nach Produkten einer bestimmten Marke sind, schauen auf den Herstellerseiten nach. Sie müssen sich nicht durch Händlerseiten klicken und hier die Filterfunktion aktiveren, um dann festzustellen, dass das gewünschte Produkt doch nicht vorrätig ist. Sie informieren sich vielmehr direkt beim Hersteller und erfahren alles Nötige zur Verfügbarkeit und zum möglichen Lieferzeitraum. Wer beim Hersteller ordert, profitiert meist von kürzeren Lieferzeiträumen, als das beim Kauf über viele Händler der Fall ist. Muss der Händler die Ware erst ordern, weil er sie selbst nicht auf Lager hat, dauert das deutlich länger, als wenn der Handwerker direkt beim Hersteller kauft.
Offene Führungsrolle trotz Vertikalisierung?
Umfragen haben ergeben, dass mehr als die Hälfte aller Handwerker im Fachhandel einkauft. Immer mehr von ihnen sind Kunden von Onlineshops, dennoch sind es Händler, die sich der größeren Beliebtheit erfreuen. Doch auch die Hersteller holen auf und zeigen sich als ernst zu nehmende Konkurrenz. Das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut hat herausgefunden, dass 52 Prozent aller Befragten Handwerker aus der Baubranche im Fachhandel einkaufen, doch die Hersteller etablieren sich mehr und mehr als feste Größe. Es lässt sich bislang nicht feststellen, wie es in einigen Jahren aussehen wird, denn die Führungsrolle ist noch offen. Bessern Händler nach, ist denkbar, dass sie auch weiterhin die Nummer eins bleiben werden. Immerhin sind sie in der Regel in der Lage, Produkte mehrerer Hersteller in unterschiedlichen Preisklassen anzubieten. Der Hersteller selbst jedoch kann nur seine Produkte offerieren.
Eventuell ergeben sich auch Symbiosen und mehr Hersteller gehen den Weg, den Direktvertrieb nur für Untermarken anzubieten. Teilweise gibt es diese Vorgehensweise bereits und der Händler verkauft auch weiterhin Produkte eines Herstellers. Dieser führt aber selbst eine Untermarke ein, die er im eigenen Webshop oder im Direktvertrieb anbietet. Damit sind alle Beteiligten glücklich, zumindest im Moment. Für Handwerker ist das „Woher“ in vielen Fällen auch völlig unerheblich, denn bei ihm sind es weniger als bei einem Endkunden die Preise, die den Ausschlag geben. Wichtiger sind Lieferfristen, denn wenn ein Produkt nicht lieferbar ist oder es zu Lieferverzögerungen kommt, muss der Handwerker mit Problemen rechnen. Andere Gewerke können eventuell nicht arbeiten, weil ein Arbeitsschritt nicht vorangeht. Teilweise drohen sogar Strafzahlungen, weil es zu Bauverzögerungen kommt. Wer dann die Auswahl aus verschiedenen Shops und Anbietern hat, steht deutlich besser da.
Mehr Hersteller springen auf: Vertikalisierung verbreitet sich
Immer mehr Hersteller gehen den Weg über den eigenen Onlineshop oder über den Direktvertrieb und offerieren die eigenen Produkte an Handwerker oder Endkunden, so, wie es die Fashion-Branche vormacht. Mehr als 50 Prozent von ihnen sind es mittlerweile, die einen eigenen Shop anbieten und damit Kunden aus dem Handwerk direkt ansprechen. Dazu kommt die Möglichkeit der persönlichen Beratung, die hier als besonders hochwertig eingestuft wird. Immerhin spricht dort jemand, der die Produkte in- und auswendig kennt, weil er sie selbst entwickelt und produziert hat. Ein Händler hingegen ist immer nur so gut wie sein erworbenes Fachwissen zu den einzelnen Produkten und Herstellern. Die Beratung gilt damit beim Hersteller als kompetenter und tiefgründiger möglich.
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Dennoch ist es so, dass Hersteller Retailer als tragende Säule auch weiterhin nutzen und diese in ihr Marketing mit einbeziehen müssen. Der Einfluss der Händler auf den Kunden darf nicht unterschätzt werden! Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Kunden, die sich beim Hersteller einen Showroom ansehen oder Produkte direkt vorgeführt bekommen, auch dort kaufen werden. Sie nehmen dafür sogar höhere Preise hin, wenn sie umgekehrt die Fachkompetenz des Händlers auch in Bezug auf die weitere fachliche Betreuung bei Reklamationen oder Nachfragen in Anspruch nehmen können.
Abschließend sei die Frage geklärt, wo Handwerker denn in Zukunft einkaufen werden. Sowohl im Fachhandel als auch bei Herstellern! Wie bereits erwähnt, ist es momentan nicht absehbar, ob das Pendel komplett zugunsten der Herstellershops ausschlagen wird oder ob ein großer Teil der Handwerker nicht auch weiterhin im Fachhandel ordert. Fakt ist bislang lediglich, dass die örtlichen Baumärkte die Verlierer im Dreierkonsortium rund um den Vertrieb von Produkten für Handwerker sind. Der DIY-Handel fristet nach wie vor ein Schattendasein und gilt lediglich als Lückenbüßer, wenn ein Produkt praktisch sofort benötigt wird und eine 24stündige Lieferfrist zu lange ist.
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